16. EXTRABEITRAG MOSKAU

 

Veröffentlicht am 26. August 2013

Wie versprochen erhalten Sie einen weiteren Extrabeitrag aus Moskau. An einem Wochenende besuchte ich Petersburg und dort unter anderem die Hauptkirche der Lutherischen Kirche Russlands. Der Besuch veranlasst mich, Ihnen vor dem Rundgang durch die Sauerorgel auch etwas über diese beiden lutherischen Kirchen in Moskau und Petersburg zu berichten.

Zur St.Petrikirche in Petersburg zählten um die vorletzte Jahrhundertwende über 17000 Mitglieder. Als am Heiligen Abend 1937 die Gemeindemitglieder zum Gottesdienst kamen, standen sie vor den verschlossenen Türen. Die Pastoren der Petrikirche Paul Reichert und sein Sohn Bruno Reichert wurden verhaftet und später, 1938, erschossen. Nachdem die Kirche geschlossen worden war, wurde die sehr wertvolle Innenausstattung der Kirche, prachtvolle Gegenstände der bildenden und angewandten Kunst beschlagnahmt und gestohlen. Das Altarbild von Holbein d.J. wurde in die Ermitage verbracht, und “Christus am Kreuz” von K. Brüllow – in das Russische Museum. Unbekannt ist das Schicksal der hervorragenden, von der Firma Walcker gebauten Orgel.
In den 40-er und 50-er Jahren waren in der Kirche verschiedene Lager untergebracht. Dann baute man das Gebäude zu einem Schwimmbad um, welches 1962 eröffnet wurde. (Auszug aus der Hompage der Petrigemeinde)

Kommen wir zurück zur Moskauer Gemeinde.

Sie zählte ebenfalls um die Jahrhundertwende ca. 17000 Gemeindemitglieder, von denen 80% Deutsche waren. Der Pfarrer der Peter und Paulgemeinde, Alexander Streck wurde 1936 mit anderen Gemeindemitgliedern ermordet. Das Gotteshaus der lutherischen Gemeinde St. Peter und Paul wurde vollkommen vergewaltigt: Die Emporen wurden herausgerissen, und auf neu eingemauerten Etagen wurde eine Filmfabrik eingerichtet. Auch der Turm wurde geköpft, da er durch die geringe Distanz zum Kreml dem Kommunismus ein Dorn im Auge war. Die wertvollen Glocken gingen wie auch die Walkerorgel für immer verloren.

Eine Gänsehaut ging mir über den Rücken, als ich Gerda Hörschelmann kennen lernen durfte. Sie wurde in der damals schon gesperrten Kirche nachts heimlich und unter Lebensgefahr für alle Beteiligten, getauft. Gerda Hörschelmann durfte die Wiedereinweihung der Sauer-Orgel und das 100. Kirchjubiläum im Jahr 2005 noch miterleben.

Doch nun zur Sauer-Orgel

Als wir die Orgel das erste Mal besichtigten, war sie in einem bemitleidenswerten Zustand. Und doch war von Anfang an klar, dass diese Orgel ein Schatz ist. Ich kenne keine Sauerorgel dieser Größe, die Ihren wertvollen Prospekt noch besitzt. An dieser Orgel hat der „Zeitgeist“ nicht eine Pfeife abgeschnitten, angelängt oder umgesetzt. Auch der Winddruck wurde nicht herabgesetzt oder Füße aufgerissen oder sonstige Veränderungen durchgeführt. Die Kernkanten mit den Kernstichen sind unberührt. Was für eine Rarität in unserer Zeit.

 

Es ist gerade in der heutigen Zeit ein unschätzbarer Vorteil ,wenn man eine Sauer-Orgel im Geiste Sauers nachintonierend darf.

 

 An dieser Stelle möchte ich den Intonateur der Firma Harrison & Harrison  Herrn Peter Hops zitieren, der mir sagte:

 

Beim Nachintonieren alter Register wird dir jedes Register sagen, was es braucht, und du tust gut daran, darauf zu hören.“

Noch ein Wunder: Nicht nur platztechnisch passt die Orgel fast zentimetergenau in den Emporenausschnitt, sondern auch klanglich fügt sich die für einen wesentlich kleineren Raum konzipierte Orgel hervorragend ein. Dies ist wohl der sehr guten Akustik des Kirchraumes zu verdanken.

Auf den folgenden Bildern möchte ich Ihnen einen Auszug der originalen Pfeifen in ihrer Reihenfolge auf der Windlade darstellen. Es wird jeweils Ton c“‘ abgebildet.

Flöte 4'

Gedackt 8‘

Vox Celestis 8‘

Aeoline 8?

Salizional 8‘

Spitzflöte 8‘

Quintatön 16‘

Trompete 8‘ (ab fs‘‘ als Doppelchor mit einem Streicher und einer Flöte)

Cornett 5fach (nicht abgebildet)

Rohrflöte 4?

Gedackt 8?

Viola d‘ amour 8?

Gambe 8?

Flöte 8?

Bourdon 16‘,

Prinzipal 8‘ (Prospekt)

Oktave 4‘ (Prospekt)

Disposition

 

Disposition

I. Manual

II. Manual  (Oberwerk)

1

Viola d‘ amour

8'

11

Dolce

8'

2

Gedackt

8'

12

Quintatön

8'

3

Floete

8'

13

Concertfloete

8'

4

Gamba

8'

14

Geigenprincipal

8'

5

Principal

8'

15

Lieblich Gedackt

16'

6

Bordun

16'

16

Traversfloete

4'

7

Rohrfloete

4'

17

Gemshorn

4'

8

Octave

4'

18

Mixtur

4 fach

9

Cornett

3-5fach

19

Clarinett

8'

10

Trompete

8'

III. Manual

Pedal

20

Voix celeste

8'

27

Posaune

16'

21

Aeoline

8'

28

Floete

4'

22

Salicional

8'

29

Octave

8'

23

Lieblich Gedackt

8'

30

Violoncello

8'

24

Spitzfloete

8'

31

Violon

16'

25

Quintatön

16'

32

Subbaß

16'

26

Flauto dolce

4'

33

Gedacktbaß

16'

Spielhilfen

zwei freie Kombinationen

III. Manual/Pedal

III. Manual/II. Manual

II. Manual/Pedal

III. Manual/I. Manual

I. Manual/Pedal

II. Manual/I. Manual

Das zweite Manual hat eine ähnliche Registerzusammenstellung wie das erste. Manual. Die Register sind aber durch ihre engere Mensur in ihrer Intonation etwas zurückhaltener als das jeweilige Pendant im ersten Manual. Das Pedal ist klassisch disponiert, wobei das Cello mit seinem fast aggressiven Strich viel Oberton beigibt. Die Flöte 4‘ ist weit und kräftig. Die Disposition der Orgel finden Sie am Ende des Beitrages.

Betrachtet man die Fußzahlen der Register, darf man behaupten, dass dieses hochromantische Instrument einseitig ist. Auch eine bloße Auswertung der Registernamen lässt noch nicht auf die Klangvielfalt dieses Instrumentes schließen. Allein das unmittelbare Erleben des Klanges dieser originalen Wilhelm-Sauer-Orgel erlaubt es, über die Dispositionsgestaltung Sauers zu urteilen.

Sie sind herzlich eingeladen, die Orgel zu besuchen, zu sehen, zu hören, zu spielen und, wenn Sie mögen, auch zu konzertieren. Die Kirche mit seiner sowohl schlichten als auch eleganten Architektur und guten Akustik wird von seinem Auditorium geschätzt. Neben den Gottesdiensten finden ein bis zwei Konzerte in der Woche statt.

Der Kantor und Orgelpfleger Oleg Romanenko empfängt gerne internationale Gäste.

Hat Ihnen der kleine Ausflug nach Osteuropa gefallen?

Im nächsten Blog-Post geht es weiter mit dem Cembalo. Nachdem wir uns intensiv mit der Klaviatur beschäftigt haben, wird es nun um das Gehäuse des Cembalos gehen.

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