Winterkirche des Domes

Erbauer:Reinhard Hüfken
Baujahr:2001
Stimmtonhöhe:440Hz bei 20°C
Stimmungsart:Gleichstufig
Tonumfang:C-g'''
DISPOSITION

Orgelneubau 2001

Halberstadt

Zur Ausstattung der Winterkirchenorgel gehören je ein Tremulant für das Hauptwerk und für das Schwellwerk. Ihre Aufgabe ist es, die Balgplatte des Windladenbalges in eine gleichmäßige Bewegung zu versetzen, so dass der Ton zu vibrieren beginnt. Um Einfluss auf die Geschwindigkeit der Vibration nehmen zu können, sind die Tremulanten regulierbar.

Die Disposition ermöglicht es dem Organisten, Orgelmusik der verschiedensten Epochen zu interpretieren. Für die authentische Wiedergabe alter Orgelmusik ist die neue Orgel mit zwei verschiedenen Windsystemen ausgestattet. Über einen etwas versteckten Schalter hat der Organist die Möglichkeit, das Windversorgungssystem der Orgel auf bewegten Wind umzustellen. Bei diesem Vorgang wird ein 40kg schweres Gewicht vom Hauptbalg gehoben und die Windladenbälge unter den Manualwindladen fixiert, so dass Unruhen im Wind, die beim Spielen entstehen, bewusst nicht mehr ausgeglichen werden. Eine weitere zusätzliche Ausstattung sind die elektrischen Suboktavkoppeln und die Superoktavkoppel. Nach den Erfahrungen mit dieser Technik an der großen Domorgel hat diese Technik nun auch an der neuen Orgel für die Winterkirche Einzug gehalten. Eine ganz besonders große Wirkung kann man mit der Superoktavkoppel II/II und der Suboktavkoppel II/II erzielen. Mit Hilfe dieser Koppeln kann man das Klangvolumen des Schwellwerkes vervielfachen.

Um dem Organisten ein einfaches und selbstständiges Nachstimmen der Zungenregister zu ermöglichen, wurden die neuen Windladen mit so genannten Zungendrückern ausgestattet. Mit Hilfe dieser kleinen Knöpfe, die auf der Windlade direkt vor den Zungenreihen angebracht sind, kann der Organist selbst jederzeit Verstimmungen in den Zungenregistern beseitigen, ohne einen zusätzlichen Tastenhalter bemühen zu müssen. Wichtig ist diese Einrichtung auch für die Unterweisung der C-Seminaristen auf dem Gebiet des selbständigen Zungenstimmens.

Disposition

Die Winterkirche und ihre Orgel bis Mai 2001

Die heutige Winterkirche entstand während der ersten Bauphase des Domes. Es handelt sich bei diesem Raum um den so genannten oberen Domkeller, der dem Domkapitel einst als Speise- und Erholungsraum diente. Bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nutzte man den Dom auch in der kalten Jahreszeit für Gottesdienste, da er durch eine große Kohleheizung beheizt werden konnte.

Während der Wiederaufbauarbeiten am Dom verzichtete die Gemeinde auf den Einbau einer Heizungsanlage. Man suchte nach einem kleineren Raum, der für die Gottesdienste in den Wintermonaten geeignet war. Für diesen Zweck wurde der zweischiffige obere Domkeller im Jahre 1952 umgebaut und renoviert. Die Einweihung erfolgte in der Weihnachtszeit desselben Jahres.

1953 wurde in Halberstadt am Dom das Kirchenmusikalische Seminar gegründet. Junge Menschen mit Freude an der Kirchenmusik konnten hier innerhalb eines Jahres ihre Ausbildung zum C-Kirchenmusiker absolvieren. Für das Erlernen des Orgelspiels standen den Seminaristen neben der Orgel im Dom die Orgeln in der Johannes-, Moritz- und Martinikirche zur Verfügung. Allerdings waren diese Kirchen nicht heizbar.

1971 wurde Herr Orgelbaumeister Wilhelm Sohnle aus Halberstadt beauftragt, für die Winterkirche und damit auch für das Kirchenmusikalische Seminar (KMS) ein neues Übungsinstrument zu bauen. Als Grundstock dafür diente eine Knauf-Orgel aus dem Jahre 1860 aus dem Ort Winnigen bei Aschersleben. Hinter einem neuen Prospekt (Entwurf Architekt F. Lewecke) baute Herr Orgelbaumeister Sohnle eine neue Orgel unter Verwendung der alten Windladen, der Manualklaviaturen, Teilen der Ton- und Registertraktur, dem Magazinbalg sowie einzelner Register. So findet sich z.B. an der Rückwand der Subbasspfeifen C - Cs der Name Knaufs.

Die Aufstellung des Instrumentes erfolgte - trotz der von Herrn OBM Sohnle geäußerten Bedenken über den akustisch sehr ungünstigen Platz - versteckt an der Nordseite der Winterkirche. Zum Erntedankfest 1972 wurde die neue Orgel eingeweiht.

In den letzten Jahren wies die Orgel immer häufiger Fehler auf. Sicherlich waren die übermäßige Beanspruchung des Instrumentes durch die Seminaristen und das verwendete alte Material Hauptursachen für die Störungen. So stand die Domgemeinde vor der Entscheidung, das Instrument grundsätzlich reparieren zu lassen oder einen Orgelneubau zu planen.

Eine neue Orgel für die sanierte Winterkirche

Die Entscheidung fiel für ein neues Instrument. Durch den Orgelsachverständigen Herrn Christoph Schulz wurde unter Mitwirkung von Domkantor Herrn Claus-Erhard Heinrich und Herrn Prof. Dr. Reinhardt Menger eine Disposition mit 22 Registern auf zwei Manualen und Pedal entworfen. Da die neue Orgel vielseitig nutzbar sein soll, erhielt sie eine Disposition, die sowohl der barocken als auch der romantischen Orgelliteratur bzw. Aufführungspraxis gerecht wird.

Die Winterkirche heute

Die akustischen Bedingungen in der Winterkirche gestalteten sich für die gesamte kirchenmusikalische Arbeit von jeher schwierig. Die Orgel an der Nordseite des Raumes war hinter einem Stützpfeiler, der als Altarrückwand diente, versteckt. Auch der Posaunenchor oder andere Musiker fanden immer nur hinter dem Altar Platz. Dadurch fehlte der direkte Kontakt zur Gemeinde bzw. zum Pfarrer. So war die Suche nach einem geeigneten Standort für die Orgel und die Notwendigkeit eines vielseitig nutzbaren Gemeinderaumes der Ausgangspunkt, über eine generelle Neugestaltung der Winterkirche nachzudenken. Das Ergebnis war die Umsetzung des Altares und des Predigtpultes an die Ostseite der Winterkirche, der Einbau einer Fußbodenheizung, die eine gleichmäßige Temperierung des Kirchraumes ermöglicht, sowie die Anschaffung eines neuen Gestühls, das von drei Seiten um den Altar angeordnet wurde. Dadurch ist jetzt für wesentlich mehr Gottesdienstbesucher sowohl der direkte Blick- als auch der Sprechkontakt zum Pfarrer gegeben. Die Orgel erhielt ihren Standort an Stelle des Altares. Sie bildet den Abschluss des Kirchraumes. (Hinter ihr befinden sich noch die neue Gemeindeküche sowie die Sanitäranlage.) 

Einblicke in die Orgel

1. Die Windladen

Das Herzstück einer jeden Orgel sind die Windladen. Auf ihr stehen die Pfeifen der einzelnen Register. Die Windlade ist von innen in schmale Kanzellen unterteilt, die durch Holzschiede voneinander abgetrennt sind. Für jede Klaviaturtaste ist eine Kanzelle zuständig. Auf diesen Kanzellen stehen - von oben her gesehen - die Pfeifen der unterschiedlichen Register eines Werkes, die aber dem gleichen Ton (Taste) zugeordnet sind. Über die Kanzellen wird der notwendige Wind vom Windkasten zur Pfeife eines Tones geleitet. Ob der Ton dann wirklich klingt, hängt davon ab, ob die Registerschleife (sie verläuft quer zum Windkasten) das entsprechende Verbindungsloch verschließt oder freigibt. Auf dem Foto sind die Windladen noch ohne diese Registerschleifen zu sehen. Später wird auf Pfeifenstöcken auf je einem Loch eine Pfeife der 1588 klingenden Pfeifen der Orgel stehen.

2. Das Pfeifenwerk

Durch den Prospekt kann man auch einen kleinen Einblick in das Innere der Orgel bekommen. Die Holzpfeifen, die in der Mitte durch den Prospekt zu erkennen sind, gehören zum Bordun 16'. Insgesamt sind von den 1588 Pfeifen 126 Pfeifen aus Holz. Vollständig aus der Vorgängerorgel übernommene Holzregister sind Subbass 16', Oktavbass 8' sowie das Gedackt 8'. Diese Register wurden in ihrer Intonation den neuen klanglichen Bedingungen angepasst. Ebenso fanden auch zwei Oktaven des Gedackt 4' aus der alten Orgel Verwendung in der neuen Orgel. 

3. Die Klangfarben

Der Prinzipalchor

Der Prinzipalchor definiert die Kraft und die Klangstärke einer Orgel. Zum Prinzipalchor gehören im Hauptwerk der Prinzipal 8', die Oktave 4', die Oktave 2' und die Mixtur.

Der Streicherchor

Der Streicherchor setzt sich aus den zarten und leisen Stimmen der Orgel zusammen. Im Vergleich zu den Pfeifen des Prinzipalchores sind die Pfeifen in dieser Klanggruppe viel schlanker gebaut, dass heißt, ihr Durchmesser (Mensur) ist wesentlich geringer. Im Hauptwerk gehört die Gambe 8', im Schwellwerk das Salicional 8' und die Vox celestis 8' zu dieser Registergruppe. Dabei ist die Vox celestis 8' ein so genanntes Schwebungsregister. Dieses Register der Orgel ist ganz bewusst "leicht verstimmt". Spielt man das Salicional zusammen mit der Vox celestis, so ist eine zarte Schwebung hörbar. Verstärkt wird die romantische Wirkung der beiden letztgenannten Register dadurch, dass sie im Schwellwerk stehen und damit lauter und leiser angespielt werden können.

Der Flötenchor

Zu dieser Klangfamilie gehören in der neuen Orgel der Bordun 16', die Koppelflöte 8' und das Gedackt 4' im Hauptwerk sowie das Gedackt 8', die Traversflöte 4', der Nasard 2 2/3' und die Waldflöte 2' im Schwellwerk. Die Pfeifen des Flötenchores haben eine viel weitere Mensur als die Pfeifen im Prinzipalchor und klingen daher rund, warm und füllig.

Der Zungenchor

Die Krönung einer jeden Orgel bildet der Zungenchor. In der neuen Orgel gehören vier Register zu dieser Gruppe: Die Trompete 8' im Hauptwerk, die Oboe 8' im Schwellwerk und die Posaune 16' und Feldtrompete 4' im Pedal. Eine Besonderheit in der neuen Orgel ist das Kornett 5fach, welches man durch den oberen Teil der Schleierbretter erkennen kann. Dieses aus dem französischen Orgelbau stammende Register hatte schon im 16. Jahrhundert seinen festen Platz in den Orgeln von Frankreich und Italien. Obwohl es in seiner Bauart eigentlich nicht zu den Zungen gehört, wird es trotzdem dem Zungenchor zugeordnet, da es zur Nachahmung der Trompetenstimme dient. Das Besondere an diesem Register ist, dass es sich eigentlich aus folgenden fünf verschiedenen eigenständigen Pfeifenreihen zusammensetzt: Das heißt, wenn man nur einen Ton drückt, klingen gleich fünf Pfeifen. Da das Kornett aus verhältnismäßig kleinen Pfeifen besteht, wird das Register wegen der besseren Klangabstrahlung hochgebänkt aufgestellt.