Erbauer: | Wilhelm Sauer | |
Baujahr: | 1898 | |
System: | pneumatische Kegellade | |
Disposition |
Tonumfang: Manual C - g"'
Tonumfang: Pedal C - e'
In den letzten Jahren haben wir im Herzen der russischen Hauptstadt Moskau zwei große Orgeln aufwändig restauriert und zwar 2005 - 2006 die Sauer-Orgel der Lutherischen Kathedrale St. Peter und Paul und 2007 - 2012 die Röver-Orgel in der Baptistengemeinde. So hatte ich schon oft das Vergnügen, die Stadt zu besuchen und freue mich jedes Mal neu auf spannende Begegnungen.
An dieser Stelle folgt ein Extrabeitrag über die wechselhafte Geschichte der Sauer-Orgel in Moskau, die eng mit den politischen Gegebenheiten verwoben ist. Sicherlich kann kaum eine (Sauer-)Orgel von sich behaupten, so viel "herum gekommen" zu sein, wie die in der Lutherischen Kathedrale St. Peter und Paul zu Moskau. Trotzdem ist dieses Instrument in einem so originalen Zustand, wie man es wohl heute bei nur noch wenigen Sauer-Orgeln dieser Größe finden kann.
1898 lieferte Wilhelm Sauer diese Orgel mit 33 Registern in die evangelische Kirche St. Michaelis nach Moskau. Sie war eine der acht öffentlichen Orgeln der größten Stadt Europas.
Nach der Machtübernahme Stalins wurden auch evangelische Christen verfolgt und schikaniert. Dazu gehörten die Säkularisierung, die Zweckentfremdung und der Abriss von Kirchenbauten. So wurde auch die Michaeliskirche 1928 geschlossen und zwei Jahre später dem Erdboden gleichgemacht.
Durch ein „Wunder“ überlebte die Sauer-Orgel der Michaeliskirche dank einer neuen Aufgabe. Sie wurde in das staatliche Krematorium umgesetzt und tat dort von 1928 – 1996 ihren Dienst.
Ähnlich der Michaeliskirche erging es auch der Gemeinde der Lutherischen Kirche in Moskau. Sie zählte ebenfalls um die Jahrhundertwende ca. 17000 Gemeindemitglieder, von denen 80% Deutsche waren.
Der Pfarrer Gemeinde St. Peter und Paul, Alexander Streck, wurde 1936 mit anderen Gemeindemitgliedern ermordet. Das Gotteshaus der lutherischen Gemeinde St. Peter und Paul wurde vollkommen umfunktioniert und entstellt:
Die Emporen wurden herausgerissen und auf den neu gemauerten Etagen wurde eine Filmfabrik eingerichtet. Der Turm wurde geköpft, da er durch die geringe Distanz zum Kreml dem kommunistischen Regime ein Dorn im Auge war. Auch die wertvollen Glocken gingen für immer verloren.
Nach der Perestroika erhielten die Gemeinden nicht nur ihre Kirchen sondern auch entwendetes Inventar wieder zurück. Da es die Michaeliskirche nicht mehr gab, wurde – verkürzt wiedergegeben - die Lutherische Gemeinde St. Peter und Paul zum Erben ernannt.
Dank eines orgelliebenden Pfarrers und eines „Wunders“ konnte dieses Erbrecht ebenso auf die Sauer-Orgel geltend gemacht werden.
Herr Pfarrer Lotow demontierte die 33-registrige Orgel einschließlich der großen Balganlage mit einem Helfer. Die gesamte Demontage, der Transport auf dem LKW und die Einlagerung der Orgel in der Lutherischen Kathedrale St. Peter und Paul erfolgte in nur drei Wochen. Danach lagerte das Instrument neun Jahre und musste einen weiteren hausinternen Umzug als völlig zerlegte Orgel überstehen. Sie werden sicher zustimmen, dass es ein weiteres Wunder ist, dass diese Orgel heute wieder gespielt werden kann und kein Teil fehlte! Nicht verwunderlich hingegen war die Notwendigkeit einer Generalreparatur dieser Sauer-Orgel.
Als wir die Orgel das erste Mal besichtigten, war sie in einem bemitleidenswerten Zustand. Und doch war von Anfang an klar, dass diese Orgel ein Schatz ist. Ich kenne keine Sauer-Orgel dieser Größe, die ihren wertvollen Prospekt noch besitzt. An dieser Orgel hat der „Zeitgeist“ nicht eine Pfeife abgeschnitten, angelängt oder umgesetzt. Auch der Winddruck wurde nicht herabgesetzt oder Füße aufgerissen oder sonstige Veränderungen durchgeführt. Die Kernkanten mit den Kernstichen waren unberührt. Was für ein Vorrecht in unserer Zeit dieses Instrument im Geiste Sauers nachintonieren zu dürfen.
An dieser Stelle möchte ich den Intonateur Mr. Peter Hops der Firma Harrison & Harrison zitieren, der mir sagte: „Beim Nachintonieren alter Register wird dir jedes Register sagen, was es braucht, und du tust gut daran, darauf zu hören.“
Noch ein Wunder: Nicht nur platztechnisch passte die Orgel fast zentimetergenau in den Ausschnitt der Empore, sondern auch klanglich fügte sich die für einen wesentlich kleineren Raum konzipierte Orgel hervorragend ein. Dies ist wohl der sehr guten Akustik des Kirchraumes zu verdanken.
Betrachtet man die Fußzahlen der Register, darf man behaupten, dass dieses hochromantische Instrument einseitig ist. (Die Disposition der Orgel finden Sie am Seitenanfang.) Auch eine bloße Auswertung der Registernamen lässt noch nicht auf die Klangvielfalt dieses Instrumentes schließen. Allein das unmittelbare Erleben des Klanges dieser originalen Sauer-Orgel erlaubt es, über die Dispositionsgestaltung Sauers zu urteilen.
Das zweite Manual verfügt über eine ähnliche Registerzusammenstellung wie das erste Manual. Die Register sind jedoch durch ihre engere Mensur in ihrer Intonation etwas zurückhaltender als das jeweilige Pendant im ersten Manual.
Das Pedal ist klassisch disponiert, wobei das Cello mit seinem fast aggressiven Strich den Oberton-Reichtum unterstützt. Die Flöte 4‘ ist weit und kräftig.
Ein herausragendes und nachdrückliches Erlebnis stellte das Kennenlernen von Gerda Hörschelmann dar. Sie wurde in der - damals schon gesperrten Kirche - nachts heimlich und unter Lebensgefahr für alle Beteiligten getauft. Gerda Hörschelmann durfte die Wiedereinweihung der Sauer-Orgel und das 100. Kirchjubiläum im Jahr 2005 noch miterleben.
Doch der Grund für eine weitere Reise im Jahr 2013 nach Moskau schmerzte mich als Orgelbauer: Die Orgel war völlig eingestaubt.
Nur zwei Jahre nach der Restaurierung der Sauerorgel und der feierlichen Wiedereinweihung fanden erneut umfangreiche Baumaßnahmen statt, wobei die Orgel dem Baustaub ungeschützt ausgesetzt wurde. Die Arbeiten zur Behebung der Bauschäden wurden im Jahr 2013 beendet.
Nach Abschluss aller Bauarbeiten fand im Oktober 2017 eine feierliche Stunde zur offiziellen Rückübertragung der Kathedrale St. Peter und Paul an die Evangelisch-Lutherische Kirche Russlands durch eine symbolische Schlüsselübergabe mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier statt.
Auch Sie sind herzlich eingeladen, die Orgel zu besuchen, zu sehen, zu hören, zu spielen und, wenn Sie mögen, auch zu konzertieren. Die Kirche mit seiner schlichten als auch eleganten Architektur und guten Akustik wird von seinem Auditorium geschätzt. Neben den Gottesdiensten finden ein bis zwei Konzerte in der Woche statt.
Der Kantor und Orgelpfleger Oleg Romanenko empfängt gerne internationale Gäste.